
In diesem Newsletter geht es um eine ganz bestimmte vermeintliche Unzulänglichkeit bei der Schallplattenwiedergabe, welche einen besonderen Musikfluss begünstigt.
In den Grundlagen gehe ich auf genau diesen technischen Parameter ein und stelle dir dann den „digitalen Flow“ im Praxisteil vor.
Grundlagen
Kanaltrennung (Übersprechdämpfung)
Bei einer Stereowiedergabe soll die Kanaltrennung zumindest in der Theorie so hoch wie möglich sein, damit die Aufnahme nicht durch ein ungewolltes Übersprechen der Kanäle verfälscht wird. Hier gibt es bei der Schallplattenwiedergabe einige Besonderheiten.
Wie ermöglicht ein Rille in der Schallplatte die Stereowiedergabe?
Da es nur eine Rille auf der Schallplatte gibt, stellt sich die Frage wie zwei Signale – linker und rechter Kanal – mit nur einer Nadel abgetastet werden können?
Die Rille einer Schallplatte hat eine V-Form. Die beiden Flanken, also die beiden Seiten des „V“ haben zueinander einen rechten Winkel. Eine Seite der Rille ist der linke, die andere Seite der rechte Kanal. Allerdings ist eine Besonderheit festzustellen, denn der rechte Kanal funktioniert „andersherum“ als der linke. Befindet sich ein Signal nur auf dem linken Kanal und bewegt sich die Flanke nach oben, so bewirkt das gleiche Signal auf dem rechten Kanal eine Bewegung der Flanke nach unten. Dies bedeutet, dass der rechte Kanal phaseninvertiert ist, d. h. verpolt. Klanglich ist dies jedoch nicht nachteilig, da im Plattenspielersystem der rechte Kanal umgekehrt wird, wodurch sich die zuvor beschriebene Invertierung aufhebt.
Azimut bei der Justierung des Tonabnehmers
Der Azimut, zuweilen auch als Lateralbalance bezeichnet, bezeichnet die horizontale Position des Tonabnehmers beziehungsweise den 90°-Winkel der Abtastnadel zur Oberfläche der Schallplatte.
Ein schiefes Tonabnehmer-System manifestiert sich in einer nicht rechtenwinkligen Ausrichtung der Abtastnadel gegenüber der Schallplatte, was bedeutet, dass die Nadel schräg in die Tonrille eintaucht. In der Folge werden bei Stereo-Schallplatten die beiden Tonkanäle nicht sauber ausgelesen, was zu einer verringerten Kanaltrennung und in der Konsequenz zu Verzerrungen führt. Dies hat eine reduzierte räumliche Abbildung des Klangbildes zur Folge. Aus diesem Grund ist ein exakter 90°-Winkel der Nadel in Bezug zur Plattenoberfläche anzustreben.
Die Kanaltrennung bei Schallplatten
Die maximale Kanaltrennung (Übersprechdämpfung) bei einer Schallplatte liegt typischerweise im Bereich von 25–35 dB bei 1 kHz. In der Praxis hängt sie stark von mehreren Faktoren ab, darunter:
- Qualität des Schneidstichels beim Mastering
- Beschaffenheit der Rille und des Vinylmaterials
- Tonabnehmer-System (Moving Magnet oder Moving Coil)
- Justierung des Tonarms
Wenn du die Kanaltrennung mit durchschnittlich 30 dB bei der Schallplatte mit einem DAC vergleichst , kommen dir die Tränen. Denn bei einem T+A SDV 3100 HV liegt die Kanaltrennung bei mehr als 110 dB! Grundsätzlich reicht aber für Stereo bereits eine Kanaltrennung von 20 dB.
Interessant ist, dass die Kanaltrennung frequenzabhängig ist. In den Höhenfrequenzen (über 10 kHz) nimmt die Trennung oft ab. Im Bassbereich ist die Kanaltrennung absichtlich reduziert, um das Abspielen zu erleichtern und Verzerrungen zu vermeiden.
In der Praxis: Digitaler Flow
Nachdem wir die Kanaltrennung von Schallplatten richtig schlecht gemacht haben, kommen wir jetzt zu einem digitalen Modell, welches mit dieser niedrigen Kanaltrennung arbeitet.
Frequenzabhängige Lokalisation
Es liegt schon eine Weile zurück, dass sich Dr. Ulrich Brüggemann im Jahr 2012 mit einer verbesserten Lokalisierung von Phantomquellen beschäftigt hat.
Seine Grundüberlegungen waren, dass wir ein Musikinstrument zum Beispiel rechts auf der Bühne als „eine“ Schallquelle erkennen und auch räumlich nur durch Hören lokalisieren können. Bei einer Wiedergabe aus der Konserve wird diese eine Schallquelle durch die beiden Lautsprecher ersetzt und wir erhalten ein Phantombild, das idealerweise an dem Ort entsteht wie im Original. Unser Hörorgan und unser Gehirn leisten dabei eine hervorragende Arbeit. Ziel ist es, aus einem simulierten Klang eine halbwegs realistische Wahrnehmung zu erzeugen.
Dennoch ist die Wahrnehmung des menschlichen Hörsinns eingeschränkt. Faktoren wie Kopfgeometrie, Ohrmuscheln und die Physik der Schallwellen beeinflussen die Ortwahrnehmung, sodass Schallereignisse, die links und rechts phasengleich, aber mit unterschiedlichen Pegeln wiedergegeben werden, nicht immer demselben Ort zugeordnet werden können. Tiefe Frequenzen tendieren zur Mitte, während hohe Frequenzen weiter nach außen auftreten. Siehe auch Sengpielaudio: Frequenzabhängige Hörereignisrichtung bei Stereo-Lautsprecherlokalisation.
Die Wiedergabe in Stereo sieht (übertrieben) wie folgt aus: Das Phantombild wird breiter als die Originalquelle und es besteht die Tendenz, dass tiefe Frequenzen mehr in Richtung Stereomitte und hohe Frequenzen mehr in Richtung der Lautsprecher wandern. Das Gehirn oder das Gehör müssen mehr leisten, um ein komplexes Stereobild zu verarbeiten.
AcourateFLOW
AcourateFLOW versucht, durch Änderung der Pegelverhältnisse niedrige Frequenzen mehr nach außen und hohe Frequenzen mehr nach innen zu verschieben, um eine möglichst genaue Lokalisation zu erreichen. Dies führt in der Theorie zu einer Reduktion des Höraufwandes und einer angenehmeren und flüssigeren Musikwiedergabe.
AcourateFLOW ist im AcourateConvolver enthalten. Der eigentliche Zweck des Programms besteht darin, für unterschiedliche Signalquellen eine digitale Raumkorrektur (Convolution) zu ermöglichen.
Abgrenzung Crossfeed
Das Crossfeed zielt darauf ab, dass bei der Lautsprecheranlage bekannte Übersprechen, bei dem der linke Lautsprecher auch mit dem rechten Ohr wahrgenommen wird, auf das Hören mit Kopfhörern zu berücksichtigen. Dies erfolgt unter der Annahme, dass ein Titel bereits mit der Lautsprecheranlage abgemischt wurde und daher möglicherweise nicht optimal für die Wiedergabe mit Kopfhörern geeignet ist. Die Berechnungen für das Crossfeed basieren auf den Grundlagen von Benjamin B. Bauer. Dies steht in keinem Zusammenhang mit AcourateFlow.
Teststrecke: Roon > HQPlayer > AcourateConvolver
Meine Teststrecke war etwas kompliziert aufzubauen, weil ich nicht auf mein gewohntes Setup mit Roon als Player und dem HQPlayer als Upsampler verzichten wollte. Die Verbindung von Roon mit dem HQPlayer blieb so bestehen wie bisher, also durch die Eingabe der IP-Adresse des HQPlayers in den Systemeinstellungen von Roon.
Im HQPlayer musste dann der Output auf den ASIO-Treiber des AcourateConvolvers umgestellt werden. Der HQPlayer machte dann das Upsampling einheitlich auf PCM 176,4/192kHz, weil der AcourateConvolver keine höheren Samplingraten und kein DSD kann. Im Ausgang vom AcourateConvolver wurde dann entsprechend der ASIO-Treiber des DACs ausgewählt. Der DAC wurde per USB mit dem Audio PC verbunden.

Das Finden der richtigen Einstellungen
Dieser Prozess ist leider etwas knifflig. Im Bild unten sind unterhalb der Schaltfläche „Flow“ die Einstellungen für „Low“ und „High“.

Ich habe mir von Dr. Ulrich Brüggemann Testtöne geben lassen. Ein Testton liegt bei 315 Hz, hier kann man die Kanaltrennung erhöhen (was übrigens akustisch gesehen schwieriger ist als ein Herabsetzen der Kanaltrennung). Der andere Ton ist bei 4 kHz, hier kann man die Trennung nur niedriger setzen, weil das Ziel nicht eine Pseudo-Basisverbreiterung ist. Der Referenzton liegt bei 1 kHz.
Die Testtöne beginnen mit dem linken Kanal und schalten nach der Hälfte um auf den rechten Kanal. Jeweils unterbrochen mit dem Referenzton. Ich musste schon sehr genau hinhören, um die Unterschiede zu erkennen.
Geholfen hat mir die unten beschriebene Matrix, die ich per Knopfdruck abrufen konnte. Außerdem habe ich mir zwei Extremeinstellungen mit Flow 10 und High -10, sowie eine ausgeschaltete Flow-Einstellung angelegt. Da wird schnell klar wie das funktioniert. Meine Lieblingseinstellung war Low mit +0,5 und High mit -2.5 recht moderat.
Du kannst auch mit dem Programm AcourateLOC experimentieren. Es spielt einen Sinus-Referenzton (C6 – 1047 Hz), der zwischen linkem und rechtem Lautsprecher hin- und herwandert. Die maximale Breite lässt sich durch ein Pegelverhältnis zwischen 12 und 24 dB einstellen. Ebenso die Geschwindigkeit. Der Referenzton lässt sich daran erkennen, dass er immer kurz hintereinander doppelt gespielt wird.

Die Matrix des AcourateConvolvers
Die Matrix dient vor allem der Hinterlegung von Filtern für die Raumklangkorrektur. Nun sollten verschiedene Flow Einstellungen per Knopfdruck abrufbar sein, um Vergleiche zu ermöglichen. Dafür stehen in der Matrix 9 Schaltflächen zur Verfügung. Im unten abgebildeten AcourateConvolver Remote Control sind diese links ersichtlich. Die Matrix-Schaltflächen können frei editiert werden. Ich wählte dafür die jeweiligen Flow-Einstellungen. Jeder Matrix können bis zu drei Filterbänke zugeordnet werden. Rechts ist der Filter 1 mit der Bezeichnung „C800Hz3dBBass“ ausgewählt. Die Bezeichnung habe ich mir selbst ausgedacht und steht für eine Teilkorrektur der Amplitude bis 800Hz mit einer leichten Bassanhebung um 3dB. Im Filter 2 habe ich eine neutrale Teilkorrektur und im Filter 3 eine Vollkorrektur über den gesamten Frequenzgang hinterlegt. Insgesamt kann ich mit meinen Einstellungen 9 x 3 = 27 Kombinationen per Knopfdruck testen. Das Umschalten erfolgt im laufenden Musikbetrieb.

Ein kleiner Tipp: Wenn die Filterbänke für die Raumklangkorrektur je Matrix immer gleich sind (bei mir sind es immer dieselben drei unterschiedlichen Convolution-Files), kann eine einmal angelegte „Config“ für die anderen geladen werden. Dafür habe ich mir eine Muster-Config abgespeichert. Dann beschränken sich die weiteren Änderungen auf die Flow-Einstellungen.
Klangeindrücke
In meinem damaligen Testsystemen mit einem Denafrips Terminator DAC hatte sich die Ortung der einzelnen Instrumente verbessert. Der Bass war körperhafter. Ich spürte den Körperschall, ohne dass ich Bassmoden bemerke. Es gab aber auch Stimmen, die mit dem Klanggeschehen nichts anfangen konnten. Hier hilft wie immer nur selbst ausprobieren.
Zusammenfassung
Ausgerechnet eine schlechte Kanaltrennung soll den Musikfluss fördern? Das war für mich in der Testphase schwer zu akzeptieren. Allerdings hatte ich bei der digitalen Raumkorrektur gelernt, dass sich ein horizontaler Frequenzgang wie mit dem Lineal gezogen ganz fürchterlich anhörte. Erst mit der Nachbildung der Harman-Zielkurve und einer psychoakustischen „welligen“ Glättung hört es sich großartig an. Siehe mein Bericht: Wie erstelle ich einen Faltungsfilter für die Raumkorrektur?
Wichtig ist bei der Kanaltrennung die frequenzabhängige Lokalisation, also der Umstand, dass bei Stereo tiefe Frequenzen zur Mitte und hohe Frequenzen weiter nach außen tendieren. Mit AcourateFLOW wird versucht eine möglichst genaue Lokalisation zu erreichen.
Meine etwas komplexe Teststrecke mit Roon > HQPlayer > AcourateConvolver hatte den gravierenden Nachteil, dass eine doppelte digitale Signalverarbeitung erfolgt. Nämlich durch den HQPlayer, der die Signale auf die maximale Samplingrate von 192 kHz hochrechnete und die Flow-Verarbeitung dann durch den AcourateConvolver erfolgte.
Das Finden der richtigen Einstellungen war auch nicht einfach, aber durch die AcourateConvolver Matrix kann man sehr gut experimentieren. Meine Klangeindrücke waren jedenfalls überwiegend positiv.
Heutzutage arbeite ich allerdings nicht mehr mit dem AcourateConvolver, weil mich die doppelte Signalverarbeitung in meinem Setup stört und kein DSD möglich ist. Aber hey! Finde es selbst heraus, was für dich funktioniert. In jedem Fall war es für mich eine interessante Erfahrung, dass manchmal das Glück in der Unvollkommenheit liegt.
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